Vigrid
Runenstein der Ockelbo Kyrka
(Kirche in Ockelbo, Schweden)
Wenn man sieht, wie beliebt das Brettspiel selbst heute noch ist, dann kann man sich vorstellen, welchen Stellenwert es zu früheren Zeiten einnahm, als es die vielfältigen Zerstreuungsmöglichkeiten unserer Tage noch nicht gab. Tatsächlich sind sie seit ältester Zeit ein fester und wichtiger Bestandteil des überlieferten Kulturguts. Sie dienten als geselliger Zeitvertreib und intellektuelle Herausforderung. In höheren Schichten gehörte die Kenntnis bestimmter Brettspiele nicht selten zur Etikette, und selbst religiöse Funktionen sind aus alter Zeit bezeugt. Das antike und frühmittelalterliche Europa machte hier keine Ausnahme, doch begann sich hier im zehnten Jahrhundert das aus Persien (ursprünglich vermutlich aus Indien) stammende Schach durchzusetzen und traditionelle Spiele zu verdrängen. Nur selten sind vollständige Regelwerke überliefert, und die Rekonstruktion dieser Spiele ist eine mühselige Arbeit.
Im 19. Jahrhundert fiel die Aufmerksamkeit vieler Skandinavisten auf ein mysteriöses Spiel, das in den altisländischen Sagas an vielen Stellen erwähnt wird. Sein Name war hnefatafl oder kurz tafl. Es handelte sich offenbar um ein strategisches Brettspiel, das eine Schlacht zwischen zwei Armeen nachstellte, und sein gesellschaftlicher Stellenwert war dem des Schachs zu späterer Zeit vergleichbar. Allein eine genaue Erklärung der Regeln findet sich nirgendwo. Die Überlieferung beschränkt sich auf vage Andeutungen und einige Felsritzungen, die aber über das Spiel an sich kaum Information beinhalten. Ein erster Rekonstruktionsversuch wurde von dem Amerikaner Williard Fiske durchgeführt. Er sammelte eine große Menge an Material zusammen, das er 1905 in seinem Buch Chess in Iceland veröffentlichte, doch zum Schluß erklärte er das Problem für unlösbar. Aus seiner Sicht, mit den ihm zur Verfügung stehenden Quellen, war das auch zweifellos richtig. Was er aber nicht wußte, war, daß bei anderen Völkern, die mit den Nordmännern in Kontakt gestanden hatten, Varianten des Spiels überlebt hatten. 1732 brach der schwedische Botaniker und Biologe Carl von Linné (1707-1778) [Linné hat sich auch als Anthropologe Verdienste erworden. Vgl. Awdejew, Wladimir: Die Biologischen Grundlagen der nordischen Weltanschauung] zu einer Expedition ins damals noch fast unbekannte Lappland auf, und als er zurückkehrte, brachte er ein samisches Brettspiel namens Tablut mit. Es wurde auf einem schachbrettartigen Spielbrett mit neun mal neun Feldern gespielt und unterschied sich in zwei Punkten von allen zu dieser Zeit in Europa verbreiteten Spielen. Zum ersten war es unausgewogen und asymmetrisch. Der erste Spieler verfügte über einen „König“, der zu Spielbeginn im mittleren Feld stand, sowie acht weitere Figuren, die kreuzförmig um ihn herum angeordnet wurden. Sein Gegner begann mit sechzehn Figuren, die auf die Kanten des Bretts verteilt wurden, so daß der erste Spieler eingekreist war. Dessen Ziel war es nun, den König sicher entkommen zu lassen, während der zweite eben dies verhindern mußte. Um zu gewinnen, mußte er den König gefangensetzen. Das zweite Ungewöhnliche war die Art und Weise, gegnerische Figuren zu schlagen. Dies geschah indirekt; eine Figur galt als geschlagen, wenn der Gegner sie zwischen zwei eigenen einklemmte. Der britische Schachhistoriker Harold Murray war es schließlich, der Linnés Tagebucheinträge mit den Andeutungen über Hnefatafl in den isländischen Sagas verglich und die These aufstellte, die beiden Spiele seien identisch. Später stieß man im gesamten früheren Einflußbereich der Wikinger, in Wales, Irland und dem sächsischen England, auf weitere Varianten des Spiels, wobei aber keine auch nur annähernd so gut dokumentiert war wie Tablut in Linnés Reisetagebuch. Und auch diese Beschreibung war leider äußerst dürftig. Dennoch gelang eine ungefähre Rekonstruktion des Spiels, die zu einem großen Teil einfach auf Ausprobieren basiert; Ausprobieren im Sinne von: Wie muß ich die Regeln wählen, damit keine der beiden Parteien zu stark bevorteilt ist? Es ist dieses Regelwerk, das für heutige kommerzielle Hnefatafl-Spiele benutzt wird. Es lautet in Kürze wie folgt:
Hnefatafl-Spiel
Diese Regeln empfehlen sich zwar für den Einstieg, sind aber keineswegs als verbindlich zu betrachten. Da eine allgemeine „Hnefatafl-Ordnung“ nicht existiert und das historische Spiel wohl ohnehin nur in zahllosen lokalen Varianten existierte, steht es jedem frei, sie nach belieben zu ändern und so das Gleichgewicht zugunsten einer Partei zu verschieben, sollte das Spiel mit den Standardregeln zu unausgewogen erscheinen. Mögliche Varianten wären zum Beispiel, daß der König nicht schlagen kann oder daß schon zwei Figuren ausreichen, ihn gefangenzusetzen.
Die Bezeichnung „König“ erfolgt übrigens lediglich aus Gründen der Verständlichkeit, in Analogie zum allseits bekannten Schach. Die isländischen Quellen bezeichnen diese Figur als hnefi (Faust), was offensichtlich ein allgemeiner Kenning für den Schlachtenführer ist. Der Genitiv lautet hnefa. Hnefatafl heißt also wörtlich Das Spielbrett der Faust.
Im Gegensatz zum Schach, wo man eine Vielzahl verschiedener Figuren koordinieren muß, die sich alle nach eigenen Regeln bewegen, erscheint Hnefatafl auf den ersten Blick recht simpel. Wer es aber ausprobiert, merkt schnell, daß dieser Schein trügt. Mag das Regelwerk nicht sehr komplex sein, das Spiel selbst ist es. Dadurch, daß die Zugweite sämtlicher Figuren prinzipiell unbegrenzt ist, ist es enorm wichtig, zu jedem Zeitpunkt das gesamte Feld im Auge zu behalten. Gerade auf Seite der Schwarzen passiert es allzu häufig, daß man mit Mühe vor einem Schloß eine Verteidigungskette zuzieht, weil der König davorsteht und offenbar einen Durchbruch plant – und er dann urplötzlich in einem ganz anderen Schloß verschwindet, welches man im Eifer des Gefechts schlichtweg vergessen hat. Weiß wiederum muß zusehen, den König möglichst schnell aus dem Kreis seiner Leute heraus nach außen zu bringen, bevor schwarz den Ring schließen und alle Schlösser blockieren kann. Auf beiden Seiten ist es von Anfang an wichtig, Risiken einzugehen und taktische Opfer zu bringen, will man das Spiel für sich entscheiden. Einsteiger begehen gerne den Fehler, jeden Verlust einer Figur möglichst zu vermeiden, so wie man es vom Schachspiel kennt, wo nur in Ausnahmefällen Figuren geopfert werden. Mehr als einmal wird man diesen Fehler aber nicht begehen, denn bei dieser Spielweise fährt sich das Spiel innerhalb von Minuten fest. Weiß läßt niemanden herein, Schwarz niemanden heraus, und schon bald bewegt sich gar nichts mehr.
Ist es überinterpretiert, hierin eine Reflexion nordischer Kriegerethik zu sehen? Man denke an die legendäre Todesverachtung unserer Vorfahren, in deren Vorstellung der Weg ins „Paradies“ nur denen offenstand, die im Kampfe gefallen sind, während alle anderen herablassend als „Strohtote“ bezeichnet wurden. Auch das Prinzip des Kampfes für einen Heerführer ist uns aus alter Zeit überliefert. Nur der Anführer kämpfte bei den Germanen für ein höheres Ziel, seine Gefolgschaft hingegen nur für ihn. Sein Überleben allein war wichtig, und es war eine große Schande, heimzukehren, wenn er gefallen war. Es erscheint nur logisch, daß die grundlegenden Wertvorstellungen eines Volkes auch Eingang in seine kulturellen Schöpfungen finden, und Hnefatafl, anders als das heute übliche Schach, wurde von Menschen unserer Art erschaffen.
Goldhorn von Gallehus (Zeichnung)
Zum Schluß wollen wir noch kurz ein wenig näher auf die Geschichte des Spiels eingehen. Aus der altnordischen Dichtung können wir mit Sicherheit schließen, daß das Brettspiel im heidnischen Skandinavien einen hohen Stellenwert einnahm. Werfen wir zum Beispiel einen Blick in die Völuspa:
Diese Strophe beschreibt das „goldene Zeitalter“, in dem die Götter aus dem toten Ymir eine grüne Welt erbaut und die Riesen verbannt hatten. Sie lebten in großem Wohlstand, bauten täglich Neues, und es herrschte Frieden. Ganz am Ende des Gedichts wird diese Strophe dann wieder aufgegriffen. Nach der letzten Schlacht, dem Götterschicksal, versinkt die brennende Erde im Meer. Aber sie steigt wieder auf, die Tochter der verschlungenen Sonne bescheint das Land, das wieder zu grünen beginnt, und unter den Kindern der gefallenen Asen schließt sich der Kreis. Die Geschichte beginnt von vorn, und ein neues goldenes Zeitalter bricht an:
Altertümliches Spielbrett
„Tafel“ ist nichts anderes als eine wörtliche und etwas irreführende Übersetzung von tafl. Die Asen finden also die goldenen Spielbretter wieder, die in frühester Zeit schon ihre Eltern nutzten, als die Welt noch frei von Zwietracht war. Gleich zweimal wird hier das Brettspiel als Sinnbild für Frieden, Glück und Wohlstand genutzt. In der Rigthula, die beschreibt, wie der Gott Heimdall einst unter die Menschen ging und die drei Stände begründete, üben Jarls Kinder sich im Brettspiel, und eine Reihe anderer Gedichte erwähnt sogar explizit das Hnefatafl, meist, um die List oder Weisheit des jeweiligen Helden hervorzuheben. So werden in der Orkneyinga-Saga die neun Disziplinen aufgezählt, in denen Rögnvaldr, Graf von Orkney, jeden besiegen kann. Auch das „Tafl spielen“ wird genannt - in einer Reihe mit Kampfkunst und Runenwissen.
In alten Gräbern wurden des öfteren Beilagen in Form von Spielbrettern und -steinen gefunden, sehr prächtige mitunter, die dem Toten mit auf den Weg gegeben wurden. Auch das dürfte für sich sprechen. Genau wie die schriftlichen Überlieferungen helfen diese Funde allerdings kaum bei der Rekonstruktion des Spiels, da die für gewöhnlich hölzernen Spielbretter sich nach all den Jahrhunderten in mehr als schlechtem Zustand befinden. Davon abgesehen läßt sich zumeist nicht sagen, ob es sich überhaupt um ein Tafl-Brett handelt oder um ein anderes Spiel.
Die Ursprünge von Hnefatafl verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Eine Theorie besagt, es sei von einem alten römischen Spiel inspiriert. Dort gab es ein beliebtes Brettspiel namens Ludus Latruncolorum, in dem das Schlagen von Figuren möglicherweise nach dem gleichen Prinzip wie in Hnefatafl funktionierte. Allerdings existiert nur eine einzige, äußerst schwammige Überlieferung der Spielregeln aus einem zeitgenössischen Gedicht von Saleius Basso. Anhand dieses Gedichts wurde im 19. Jahrhundert eine Rekonstruktion erstellt, in der das Schlagen auf besagte Weise geschah. Es wäre nicht sehr wissenschaftlich, diese Theorie einfach als Unsinn abzutun. Schließlich herrschte während der Völkerwanderungszeit ein reger Kontakt zwischen Skandinaviern und Römern, und der kulturelle Einfluß des römischen Reiches auf das gesamte germanische Siedlungsgebiet war groß. Zudem kannten die Germanen das Brettspiel an sich offensichtlich von den Römern. Das belegen nicht nur archäologische Befunde, sondern auch die Tatsache, daß sowohl das Wort tafl als auch die althochdeutsche Entspechung zabal dem lateinischen tabula (Spielbrett) entlehnt sind. Das bedeutet aber nicht, daß jedes germanische Brettspiel von den Römern übernommen sein muß, und oben genannte Hinweise sind wohl kaum ausreichend, dies im Falle von Hnefatafl hinreichend zu belegen. Wenn heute Skandinavisten dennoch meinen, sie als „Beleg“ für die römische Herkunft von Hnefatafl nutzen zu können, dann liegt das wohl eher an der wohlbekannten Neigung moderner Historiker, möglichst jede germanische Kulturleistung auf mediterranen Einfluß zurückzuführen.
Kommerzielle Hnefatafl-Spiele gibt es bei verschiedenen einschlägigen Versänden. Eine Google-Suche nach „Hnefatafl“ bringt schon auf den ersten Seiten mehrere zutage.
Ein virtuelles Spiel mit der Möglichkeit, Regeln zu variieren, gibt es hier:
http://aagenielsen.dk/hnefatafl_online.html
Literatur:
Hnefatafl - the Strategic Board Game of the Vikings
http://hem.bredband.net/b512479/
Hoops, Johannes: Reallexikon der Germanischen
Altertumskunde/Band 3, 1978.
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Erläuterungen zu den Bildern:
Runenstein der Ockelbo Kyrka: Spielszene auf dem Runenstein aus der Ockelbo-Kirche, der wahrscheinlich Elemente aus der Sigurd-Sage darstellt. Die Hervorhebung der Eckfelder und des Mittelfeldes auf dem Spielbrett lassen auf ein Hnefatafl-Brett schließen.
Goldhorn von Gallehus: Spielbrett auf einem der beiden Goldhörner von Gallehus, die 1639 und 1734 in Dänemark gefunden wurden. Die Bedeutung der Motive ist von Rätseln umgeben. Die Hörner sind leider nur noch als Rekonstruktionen erhalten. Die Originale wurden 1802 von einem Goldschmied gestohlen und eingeschmolzen.
Spielbrett: Hölzernes mutmaßliches Hnefatafl-Brett, gefunden bei Ballinderry in Irland. Die Ornamentik läßt als Herstellungsort die Isle of Man vermuten.
Wilnort / Siegling
Vorwort
Der folgende Artikel ist der Zeitschrift Deutscher Glaube. Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung, Weltschau und Frömmigkeit aus dem Jahre 1936 entnommen und schildert eindringlich die Glaubensgestaltung des deutschen Menschen. Titel und Inhalt des Textes widersprechen in ihren auf den ersten Blick monotheistischen Ausrichtungen keineswegs heidnischen Anschauungen. Ist doch der Begriff „Gott“ in seinem Umfang eher allgemein als das Transzendente, das Göttliche, das Ewige zu verstehen. Diese göttliche Allgewalt setzen wir als die Ordnung an sich voraus, die von jedem gesunden Volk unterschiedlich aufgefaßt und gelebt wird.
Der Autor des Artikels, Hermann Reimnitz, hat leider keine greifbaren biographischen Spuren hinterlassen. Jedoch ist zur Klärung des Kontextes wichtig zu erwähnen, daß als Herausgeber bzw. herausragende Persönlichkeit hinter der Zeitschrift Deutscher Glaube (erschien von 1934 bis 1944 in Stuttgart, Verlag: C.L.Hirschfeld) Wilhelm Hauer (1881-1962) stand, Indologe und Religionswissenschaftler. Hauer besuchte 1921 Indien und wurde 1927 Dozent und Ordinarius an der Universität Tübingen. Seine zahlreichen indologischen und religionswissenschaftlichen Arbeiten sind noch heute anerkannt.
Hauer gründete 1935 die Deutsche Glaubensbewegung (DG) und veröffentlichte zahlreiche Werke, die zur Erklärung und Verbreitung der Ideen der DG dienen sollten
Schriften (Auswahl):
Deutsche Gottschau. Grundzüge eines Deutschen Glaubens. Stuttgart 1934;
Eine indo-arische Metaphysik des Kampfes und der Tat. Die Bhagavadgītā in neuer Sicht. Stuttgart 1934;
Ein Meilenstein in der Auseinandersetzung mit der „Gita“, deren Sinngehalt Hauer erläutert und für die Gegenwart fruchtbar macht. Die von Hauer mit profunder Sprachkenntnis des Sanskrits herausgearbeiteten Parallelen zwischen indo-arischer und nordischer Geisteshaltung, insbesondere vermittelt in den Heldenliedern, ist verblüffend und begeisternd.
Schrift der Götter. Vom Ursprung der Runen, 1943 [Neudruck: Kiel 2005];
Der Deutsche Born, 1944?;
Eine Spruchsammlung deutscher Denker, geeignet für Weihe, Ritual, Fest.
1. Von einem Gott und vielen Gottglauben
Durch alle Welten klingt eines ewigen Willens ewiges Lied. Völker ohne Zahl stehen auf und ihre Seher und Künder suchen es nachzusingen. Aber nur kurz ist das Stück, das sie auffangen und anders singt es jedes Volk. Denn verschieden ist ihrer Seelen Saitenspiel, nicht gleich die Zahl ihrer Saiten, und von verschiedenem Stoff und Klang. So ist es auch ein müßig Beginnen, sie gleich zu stimmen. Auch du bist hineingeboren in ein Volk und eine Heimat, auch in deinem Blute schwingt die ewige Weise. Ist deine Art rein und deine Heimat ganz und gar dir zu eigen, dann ist auch voll und tief das klingen der Weise, und es ist dir vergönnt, ewigen Auftrag zu vernehmen und Pflug und Pfeil ihm zu sein. Und Heil wirst du verbreiten mit beidem. So wirst du Werkzeug sein dem ewigen Willen und ihn in dir tragen und teilhaben an seinem Werk, das Schöpfung ist. Bist du aber treulos geworden deinem Volk und deiner Art, und hast du deine Heimat vergessen und verloren – dann bist du auch dem Ewigen vergessen und verloren. Siehst du aber ein anderes Volk bei seinem Tun, so zersprenge seinen Ring nicht! Anders ist, was in ihm wirkt, anders seines Denkens Weg und seiner Hände Werk. Denn anders vernahm es ewigen Ruf. Laß es mit eigenen Ohren hören, mit eigenem Herzen wollen und wagen, und mir eigenen Worten künden, was in ihm ist. So wird bei ihm eine vollkommene Sprache sein und ein vollkommenes Wollen und Glauben. So wird Vertrauen sein können zwischen ihnen und wahre Gemeinschaft. So wird ein Bruder dem andern folgen können zu letztem Geheimnis; ein Heiliges wird ihr Sterben heiligen und eine Kraft ihnen neues Leben wecken. So soll jedes Volk den Weg zu seinem Vollkommenen gehen. Und doch ist nur ein Vollkommenes!
2. Von der Ewigkeit
Die Sonne stirbt. Ewig aber bleibt das Licht. Der Mensch zerbricht und zerfällt. Ewig aber bleibt gotterfülltes Leben. Damit Geburt sein kann, muß Tod sein. Leben aber umschlingt beide und reicht über beide hinweg. Denn Leben ist Ewigkeit. Darum muß sie Gestalt haben. Sie kann nie eine Gestalt haben – sonst wäre sie keine Ewigkeit. Sie muß sich immer wieder anders darstellen – sonst wäre sie keine Ewigkeit. Sie kann nie stille stehen – sonst wäre sie keine Ewigkeit. Sie ist nicht nur Ruhe, sondern auch Drängen und Stürmen. Sie ist nicht nur Friede – sondern auch Kampf. Sie stellt den Menschen hinein zwischen Untergang und Aufgang und sagt: Wähle! Entscheide dich und kämpfe! Schaffe Gestalt für Ungestalt, Licht für Finsternis, Mut für Verzagtheit, streue Glauben für Unglauben. Sei Sämann und Krieger! Denn du bist ein Kind der Ewigkeit und sollst stehen für sie und fallen für ihren Sieg. Und so steht auch dein Volk mitten zwischen Licht und Finsternis, nicht daß es auf eine Entscheidung warte, sondern daß es selber entscheide und für die Entscheidung kämpfe! Und ein ewiges Gesetz pocht in seinem Blut, daß es sich bekenne und treu bleibe in der Dämmerung der Völker und Rassen. Denn aus der Ewigkeit ist ein Volk, Ewigkeit ist sein Wirken und zur Ewigkeit führt sein Weg.
3. Gott und Volk
Zwischen zwei Ewigkeiten ist unser Leben eingespannt. Und der Strom des Unendlichen geht hindurch. Geht rein hindurch oder wird abgedrängt, oder geschwächt, oder der Weg wird ihm ganz abgeschnitten. Das aber ist Untreue, und Neidingstun, und Gottferne. Reine Formen schuf sich der ewige Geist. Daß er sich so rein darstelle und wirklich werde. Reine Gefäße in unendlicher Fülle. Denn er ist unendlich. So wird geschaffene Wirklichkeit um uns zu einem notwendigen Teil der Ewigkeit. So wird durch das Unvollkommene erst – vollkommene Ewigkeit. In der Geschöpfe Pracht erst vollendet sie sich. Und der Mensch hört auf die Stimme, die in ihm mahnt – und wird selbst Wahrer und Künder des Ewigen und Walter an der Vollkommenheit des ewigen Willens. So reicht er die gefüllten Eimer weiter. So ist sein Werken Gottesdienst. Oder aber er läßt die Stimme überlärmen. Dann hört er nicht den Lotsen, der ihn lenkt; dann geht er irre; dann verliert er Anfang und Ende und hat nur noch sich selbst; dann aber vergeht er sich am ewigen Sinn – und wird weggetan und ausgelöscht. Höre, mein Volk! Bist auch du reines Gefäß? Bist auch du Vollender und Vollstrecker ewigen Auftrags? Oder bist du Untiefe dem Strom, und Fälscher am ewigen Wirklichen? Bist du reine Form und reine Art – oder bist du mißgestaltet und entartet? Die Schöpferhand schwebt über dir, bereit, die Fülle des Unendlichen in deine Seele zu gießen – oder aber dich zu zerdrücken und wegzuwischen, damit Raum werde für reine Art. Höre, mein Volk! Du aber sollst Vollender sein! Du aber sollst ewigen Willen in deinem Blute tragen – und weitergeben an zukünftige Ewigkeit! Darum soll deine Art rein bleiben und stark werden! Darum sollst du alle Mißgestalt abtun und Wohlgestalt suchen! Höre, deutsches Volk! So vollende dich! Damit das Ewige durch dich – vollendet werde!
Albiker (1878-1961): Zwei Männer
4. Nicht das Glück ist dein Freund, sondern die Not!
Das Glück macht deinen Arm schlaff und deine Waffe stumpf. Im sorglosen Behagen traf uns der ärgste Pfeil. Die Not aber, das ist der große Prüfstein für fest und brüchig. Da enthüllt sich alles Verlogene und zerbirst alles morsche Geäst und aller geborgter Tand. In der Not versiegen alle seichten Bronnen und fließen nur die tiefgründigen Quellen der eigenen Kraft. Aus Not und Graus erhebt sich nur stärker der Wille zur Zukunft. In Drangsal und Gefahr haben wir uns den Gottestrotz geschmiedet, und im Angesicht des Todes begründeten wir unsere Ewigkeit. Unser Gebet war das Knirschen des Pfluges in Sand und Sumpf, der Schlag der Axt in den Wäldern des Ostens und das Singen des Schwertes. Dennoch – sprüht das Licht in die Finsternis hinein. Dennoch – vertraut sich das Boot dem Sturme an. Dennoch – grünt das Moos auf dem Fels. Dennoch – ist alles Leben. Sprecht nicht von Tugend und Treue, wenn ihr den unzerbrechlichen Trotz nicht kennt gegen Tod und Untergang. Nie in der Geschichte ist unserem Volke etwas geschenkt worden, und die Gunst des Schicksals bestand darin, daß wir nie zur Ruhe kamen. Jeden Tag unseres Lebens haben wir dem Tode abgetrotzt. Darum haben wir auch immer aus untersten Tiefen gelebt, und immer stand die letzte Frage über all unserm Tun. Freut euch darum der Not! Und faßt das Schwert fester!
© Vorwort und Edition von Wilnort und Siegling, Dezember 2006
Siegling
Nach den Wirren der Völkerwanderung beginnen sich im Frühmittelalter (gängige Periodisierung: 500-800 v. u. Z.; Völkerwanderung bis zur Kaiserkrönung Karls des Franken) die ersten Konturen der deutschen und europäischen Kulturlandschaft, zunächst schemenhaft, dann jedoch bis zur steten Festigung eines fränkischen Großreiches (regnum francorum) unter dem fränkisch-germanischen Herrschergeschlecht der Merowinger, die als reges critini, ‚Könige mit den langen Haaren’ ihre Blutlinie auf den mythischen Stammvater Merowech1 (um 450) zurückführten, immer deutlicher abzeichnen.
Das Frühmittelalter ist jedoch nicht minder eine Zeit der Wandlung und Veränderung: Missionare aus Irland wirken im Schatten der fränkischen Expansion (der fränkische König Chlodwig wird 496 getauft) an der Christianisierung Mitteleuropas mit und stoßen dabei auf Zustimmung wie erbitterten Widerstand. Im romanischen Raum Südeuropas halten sich römische Verwaltungsbezirke und Strukturen. Die dortige römische und romano-keltische Provinzialbevölkerung erlebt immer wieder den Zusammenprall mit Land nehmenden germanischen Sippen, was zu Auseinandersetzungen aber auch zur Transformation und Verschmelzung römischer und germanischer Kulturmuster führt, die sich besonders in der Geburt des für das Mittelalter so typischen Lehnswesen zeigt. Letzteres ist das Fundament der mittelalterlichen Gesellschaft. In ihm leben das germanische Gefolgschafts- sowie das römische Klientelwesen, das Anhänger und Abhängige um das römische Familien- bzw. Sippenoberhaupt, den Patron, schart weiter.
Der frühmittelalterliche Mensch lebt in zwei spirituellen Welten, die sich je nach Standpunkt voneinander abgrenzen oder miteinander verschmelzen. Einerseits bewegen ihn die überlieferten heidnischen Vorstellungen seiner Ahnen, anderseits der gerade Fuß fassende christliche Glaube, der einfach(er) ist und durch das geschriebene Wort für manche die zunächst höhere Strahlkraft besitzt.
Sieghilfe und Sippenheil
Entscheidend für den Übertritt zum Christentum ist die Frage, ob der neue Gott in der Lage ist wirkungsmächtig den Sieg über die Feinde zu schenken und zugleich das Sippenheil zu gewährleisten. Konnte dies einsichtig gemacht werden, treten einzelne Herren2 und damit auch ihre Gefolgschaft zum neuen Glauben über, oftmals nicht ohne sich insgeheim bei den alten Göttern rückversichert zu haben und dem damit verbundenen Brauchtum auch weiterhin oft unverblümt nachzugehen. Vom Frankenkönig Chlodwig (466-511), der mit 30 Jahren ins Taufbad steigt, wird berichtet, wie zaudernd er die Macht des neuen Gottes beobachtete und prüfte. Der Tod seines kranken Sohnes Ingomer, den Chlodwig mit Zustimmung seiner Gemahlin taufen läßt, veranlaßt ihn den Christengott erneut abzulehnen und die Macht der alten Götter öffentlich hervorzuheben. Erst als weitere ‚Beweise’ für die Taufe sprechen, willigt Chlodwig – sicherlich auch aus politischen Gründen – ein3.
Den Aspekt die Macht des Gottes am Sieg über die Feinde prüfen und ablesen zu wollen, war für eine kriegerische Kultur essentiell. Dieses so genannte ‚Sieghelfermotiv’ wird durch einen Fund des späten 7. oder 8. Jhd. deutlich. In Pliezhausen bei Tübingen4 wurde unten abgebildete Zierscheibe gefunden, die den Kampf zwischen einem Reiter und einem Schwertkämpfer zeigt, der im Kampf zu Boden geht. Obwohl der Reiter im vollen Galopp im Begriff ist, seinen Speer gegen den oder die Feinde zu schleudern, gelingt es dem am Boden liegenden Krieger, die Zügel des Pferdes zu ergreifen. In diesem Moment greift der göttliche ‚Sieghelfer’ ein, der als beschildete kleinere Figur am linken oberen Rand der Scheibe zu sehen ist und mit seiner überdimensioniert großen Pranke den Speer des Reiters umfaßt und diesen beim Wurf stärkt. Hier muß von heidnischen Vorstellungen des Trägers der Zierscheibe ausgegangen werden. Immerhin zu einer Zeit, in der die Christianisierung der kontinentalgermanischen Stämme im Abschluß begriffen war. Ein beeindruckender Beleg für die zähe Langlebigkeit germanischer Kulturmuster.
Der Sieghelfer von Pliezhausen
Una gens – Volk im Werden
Für uns Deutsche ist das Frühmittelalter deshalb so bedeutend, weil sich hier die deutschen Stämme zum ersten Mal in ihren Siedlungsgebieten ausbilden. Im Westen haben sich Stammes- und Kleinkönige der Franken in den ehemals römischen Gebieten eingerichtet, im Süden wachsen keltische und germanische Sippen zum Stammesvolk der Baiern oder Bajuwaren zusammen, das später von Herzogen regiert wird. Die Alamannen5 (‚Alle Männer unter Waffen’) festigen ihre Herrschaft im Südwesten bis in die heutige Schweiz. Der alamannische Adel findet Anschluß an die frühmittelalterliche Herrschaftskultur und gerät bald in Gegensatz zu den Franken (Schlacht von Zülpich 496). Der Norden wird von den kriegerischen und heidnischen Sachsen beherrscht, die den Franken später unter ihrem halbmythischen Herzog Widukind (743-807 oder 825) blutige Kriege liefern. Im Osten hingegen behauptet sich das Reich der Thüringer, dessen Adel sich mit dem der Franken abstimmen kann: Thüringische Prinzessinnen heirateten in den fränkischen Adel ein und bringen die Sitten ihres Stammes mit in die Francia. Lange nach den Kriegen zwischen Franken und Sachsen, die Karl den Franken (742-814) so in Atem gehalten haben und mit dem Ende des selbständigen heidnischen Sachsenreiches enden, schreibt der Nachfahre Herzog Widukinds, der Mönch und Schriftgelehrte Widukind von Corvey (um 925-973) nicht ohne Stolz, daß aus einstmals verfeindeten Stämmen nunmehr una gens (‚Ein Volk’) geworden sei. Widukinds beispiellose Deutung, weist uns den Weg zum Verstehen des Frühmittelalters und seiner Bedeutung für uns.
Ein Grabfund sorgt für Aufsehen – Der Todes- und Kriegerkult eines frühmittelalterlichen Herren
Ein herausragender Grabungsfund, der jüngst beim Ausbau der ICE-Strecke Augsburg-Ingolstadt gemacht wurde, führt uns schlagartig diese bewegte Zeit vor Augen. Im nordbayrischen Großhöbing (Kreis Hilpoltsheim) entdeckte man ein Gräberfeld, das nicht nur bedeutend für die bisher in Bezug auf frühmittelalterliche Zeugnisse eher arme Gegend ist, sondern uns darüber hinaus tiefere Einsichten in die Lebens- und Todesschau frühmittelalterlicher Herren und ihrer Gefolgschaft eröffnet. In der Grabkammer mit einer Größe von 5 x 3,10m (siehe bearbeitete Abbildung unten) fanden sich die Skelette von fünf Kriegern, denen man nur ihre Waffen mit ins Grab gelegt hatte. In der Aufteilung von Süden nach Norden 2 Skelette, Abstand, 3 Skelette wurde die Krieger beigesetzt. Drei Krieger waren mit einer Spatha (Langschwert), die anderen zwei mit dem kürzeren Sahs (Sax)6 bewaffnet. Das Sahs ist möglicherweise eine sächsische Entwicklung. Die Spatha war ein Schwert, das eine Klingenlänge von ungefähr 90cm hatte und teilweise beidhändig geführt wurde. Es könnte keltischen Ursprungs sein, taucht zunächst verstärkt im fränkischen Raum auf und verbreitet sich dann sehr schnell über den Kontinent, wie Grabbeigaben in ganz Deutschland belegen. Am Südende der Kammer lag ein Hochgewachsener Mann (deutlich über 1,90cm), der als Herr oder Fürst angesprochen werden muß und zum Zeitpunkt seines Todes zwischen 30-40 Jahre alt war. Nicht nur sein Schwert, das besser verarbeitet und womöglich in einer besonderen, wenn nicht gar außereuropäischen Schmiede geschmiedet worden ist, deutet neben der Körpergröße (Seine vierköpfige Gefolgschaft war mit über 1,80cm ebenfalls von hoher Körpergröße) auf seinen besonderen Rang oder seine Stellung hin, sondern ebenso sein Gewand, dessen Reste einen Goldbrokatbesatz im Hals und Brustbereich aufweisen. Die für damalige Verhältnisse enorme Körpergröße ist auch Beleg für seine ausgesuchte und nicht unter Mängeln leidende Ernährung, was natürlich insbesondere für seine von Geburt an bestehende Zugehörigkeit zum Adel spricht, der regelmäßig Fleisch aß. Möglicherweise läßt sich an der Anordnung der Gräber ein enges Gefolgschaftsverhältnis zu 4 Kriegern ablesen, von dem der in seiner unmittelbaren Nähe begrabene vielleicht noch eine besondere Stellung einnahm. Ob der Begriff ‚Leibwache’ wirklich genug Tiefe besitzt, um diese Gefolgschaft hinreichend zu beschreiben, ist fraglich. Immerhin muß bedacht werden, daß frühmittelalterliche Herren weit mehr als 4 Krieger zu ihrer Gefolgschaft zählen und für den Waffengang aufbieten konnten, wenn dies notwendig war.
Bild der Grabung (bearbeitet), Großhöbing.
Franke oder Baier?
War der Fürst von Großhöbing Franke oder Baier? – Eine genaue Zuordnung zum einen oder anderen Stamm ist schwierig. Die Lage des Grabes im frühmittelalterlichen Grenzland zwischen Baiern und dem Frankenreich läßt verschiedene Überlegungen hinsichtlich der Herkunft des Herren zu.
Die Baiern als ‚Findelkinder der Völkerwanderung’7 haben auch keltische Wurzeln, wie Historiker und Archäologen herausgefunden haben. Viel mehr als der auf einem Kessel eingeritzte Stammesname8 Boios (Boier) eines keltischen Volkes, dessen Kernland möglicherweise in Böhmen zu suchen ist, ist nicht geblieben. Immerhin hinterließen sie den sich im Zuge Völkerwanderung in Baiern ansiedelnden germanischen Sippen einen klangvollen Namen. Diese werden um das Jahr 530 greifbar und siedeln sich im Gebiet um das römische Castra Regina (Regensburg) an. Beeinflußt durch Franken, Alamannen, Thüringer und sogar die kriegerische Kultur der Hunnen wachsen diese zu einem Stammesgebilde zusammen, das bald eine über ihr Siedlungsgebiet hinaus gehende Anziehungskraft entwickelt. Man kann in Bezug auf die Baiern von einer Ethnogenese sprechen, denn Sippen mehrerer germanischer Stämme, vereinzelt Romanen (ehemalige römische Provinzialbevölkerung) oder gar Kelten wachsen zu einem Stamm zusammen, der dann selbst eine eigene, germanisch bestimmte Kultur und Identität herausbildet. Auch wenn Grabfunde, oben benannte Beeinflussung durch andere germanische Stämme deutlich widerspiegeln, finden sich bald auch typisch baierische Beigaben, so mit Eberhauern verzierte Helme für Männer und Knaben, die in der germanischen Welt ohne Beispiel sind9.
Bereits 50 Jahre später bildet sich eine selbstbewußte und eigenständig herrschende Adelsschicht heraus, die unter der wahrscheinlich fränkischen Sippe der Agilolfinger die Herzogswürde für sich beansprucht. Als dux (Herzog) von den Franken anerkannt, regiert als wahrscheinlich erster Herzog Garibald (um 590). Das im Lex Baiuvariorum (Gesetz der Baiern) festgelegt Erbrecht der Agilolfinger über die Baiuaria (Baiern) ist ebenfalls eine Sonderentwicklung der germanischen Geschichte. Enge Kontakte entwickeln die Baiern zu den Franken und den in Norditalien ansässigen germanischen Langobarden (‚Langäxte’, nicht ‚Langbärte’; vgl. dazu ‚Hellebarde’: Hieb- und Stichwaffe des Mittelalters). Nach einer Zeit der starken Anbindung an bzw. Unterwerfung unter das Ostgotenreich Theoderichs des Großen (453-526) üben die fränkischen Merowinger einen starken Einfluß auf das Herzogtum Baiern aus. Unter den Karolingern, der später die Franken beherrschenden Sippe, aus der auch Karl der Franke stammt, geraten die Baiern unter Druck und in zunehmende Abhängigkeit vom übermächtigen Frankenreich. Sie müssen sich letztlich dem kriegerischen fränkischen ‚Hausmaier’ Karl Martell (‚Der Hammer’, 689-741) und darauf Karl fügen, der in seiner Regierungszeit als fränkischer König eine Revolte des Baiernherzogs Tassilo III. (748-788) niederschlägt.
Treue über den Tod hinaus – Der spirituelle Hintergrund
Über die Todesursache des Herren und seiner Männer oder den Zeitpunkt (Sind Herr und Gefolgschaft gleichzeitig gestorben? - Im Kampf, durch Krankheit?) konnte bisher nichts greifbares festgemacht werden. Was die Archäologen verblüffte, war die offenbar zu Lebzeiten bestehende innige Verbindung des Herren zu seinen Gefolgsleuten und umgekehrt, die sich in dem Umstand äußert, daß alle Männer mit untergehakten Armen bestattet worden waren, gerade so als ob ihre Verbundenheit als Männerbund und einer in der Schlacht Schulter an Schulter kämpfende Gruppe noch mal im Hinblick auf ein Jenseits unterstrichen werden sollte. Ich möchte an dieser Stelle noch mal auf die Ausstattung des Grabes zurückkommen. Die gängige Forschungsmeinung geht dahin, daß mit dem Vordringen des Christentums, die Anzahl der Beigaben in Gräbern rückläufig ist, weil die heidnischen Vorstellungen eines wie auch immer gearteten Weiterlebens des Verstorbenen dem christlichen Jenseitsbild (das wenig martialische ‚Reich Gottes’ bzw. ‚Himmel’) Platz machen10. In diesem Fall liegt aber einerseits eine vergleichsweise geringe Ausstattung vor, anderseits spiegelt die Anordnung der Skelette mit dem durch Unterhaken demonstrierten Gefolgschaftsverhältnis und die beigelegten Waffen mit Sicherheit heidnische Vorstellungen wider. Die Betonung des kriegerischen Aspektes ihres irdischen Daseins könnte auch mit der jenseitigen Vorstellung eines Weiterlebens als Krieger verbunden sein. Dies wiederum würde auf die belegten germanischen Jenseitsvorstellungen bezüglich Wilde Jagd (Das Totenheer Wotan/Wodans) und Walhalla (nordische Walstatt der im Kampf gefallenen Krieger) hindeuten, ohne daß durch diese Vorstellungen der vergleichsweise spät schriftlich überlieferten nordischen Mythologie der Sinngehalt der Bestattung erschöpfend erklärt wäre.
Ausblick
Die Funde in Großhöbing, die vielleicht durch weitere Funde in einen größeren Rahmen eingeordnet werden können, zeigen deutlich welcher hohe Wert der Gefolgschaftstreue als sozialer Bindung in der frühmittelalterlichen Stellung beigemessen wurde. Die Vorstellung, daß jene unter freien Männern zu Lebzeiten eingegangene Bindung in ‚beiden Welten’ gültig ist, wird an diesem Fund sehr deutlich. Hier zeigt sich auch das spirituelle Verständnis, daß die frühmittelalterliche Welt vom ‚Mann als Krieger’ hatte. Dieser lebt und kämpft in beiden Welten, gebunden an sein Wort, der Treue genüge zu tun. Diese spirituelle Vorstellung hebt sich deutlich vom heutigen vorherrschenden Verständnis ab, denn der Soldat oder Söldner (etym. von Solidus, römischer Goldmünze) als ‚Krieger’ kennt nur diesseitige Bindung, die sich nicht nur, aber gerade auch auf den materiellen Vorteil stützt.
© Siegling, 2004-2007
Literatur:
Abkürzungen:
etym. - etymologisch
got. – gotisch
vgl. – vergleiche
1 Obwohl der erste König der Merowinger Chlodio (um 455) war, gab der ‚Nachgeborene’ Merowech dem fränkischen Königsgeschlecht seinen Namen. Ihm schrieb man ein dem Meer entstiegenes Ungeheuer als Vater zu, dessen übermenschliche Kräfte gleichermaßen auf den Sohn übergingen. Immerhin wird deutlich, daß der historisch weniger greifbare Merowech weder Sohn, noch Bruder Chlodios war.
2 Die althochdeutschen Wörter für Fürst bzw. Herr Hêrro, Frô (got. Frauja; Herr des Haushalts), Truhtin (Gefolgschaftsführer, Führer einer Streitmacht) beschreiben unterschiedliche Aspekte der Macht frühmittelalterlicher Herren. Das mittelhochdeutsche Wort Rîter (Ritter) ist ein nur für das Hoch- und Spätmittelalter (nach 800) tauglicher Begriff.
3 Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter – Die abendländische Christenheit; S.172
4 ebenda.
5 Der Name Deutschlands im Französischen (Allemagne) geht auf die Alamannen zurück.
6 Vgl. hierzu den Schwertgott der Sachsen Saxnot (möglicherweise eine Ausprägung von Tyr/Ziu).
7 Todd, Malcolm: die Germanen; S.239.
8 Die Boier sind durch Funde in Böhmen, Tschechische Republik belegt. Möglicherweise haben sie auch slawische Stämme beeinflußt.
9 Von Freeden, Uta: Die Bajuwaren – Nachbarn der Franken; in: Ausstellungskatalog zur Ausstellung: Die Franken – Wegbereiter Europas; S. 315.
10 Angenendt, Arnold: Das Frühmittelalter – Die abendländische Christenheit 400-900; S.173.
Sebastian P.
„Wanderer, kommst Du nach
Sparta, verkündige dorten, Du
habest uns hier liegen geseh’n,
wie das Gesetz es befahl“!
Statuette eines spartanischen Hopliten
(13 cm hoch, um 510 v.d.Z.)
In dieser weltberühmten und oft zitierten Grabinschrift wird die Erinnerung an den Spartanerkönig Leonidas und dessen dreihundert Elitesoldaten, die 480 v. Chr. heldenhaft den Paß in der legendären Schlacht an den Thermopylen verteidigten, wach gehalten. Neben den unmittelbaren militärischen und politischen Folgen entfaltete dieses Ereignis seine weltgeschichtliche Bedeutung in dem hierdurch eingeleiteten Sieg gegen die anrennenden Perser und der damit ermöglichten Rettung des Abendlandes.
Der amerikanische Zeichner, Schriftsteller und Filmemacher Frank Miller eröffnet mit seinem im April angelaufenen Film „300“ einen Blick auf eine historische Welt, die mit ihren Idealen von Ehre, Verantwortung für das eigene Volk und Tapferkeit unserer dekadenten, hedonistischen und traditionsverneinenden Gegenwart diametral entgegensteht.
Doch was sind die historischen Hintergründe dieses Werkes?
Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive betrachtet, stellen zahlreiche tradierte Meinungen über spartanische Werte wie Tapferkeit, Disziplin, Treue und Ordnung zwar nicht generalisierbare Legenden über den spartanischen Staat dar, doch bietet gerade „der Spartiat par excellence“, „Leonidas, der strahlende Verteidiger der Thermopylen, die reine Verkörperung spartanischen Wesens schlechthin“ [Carl W. Weber: Die Spartaner. Düsseldorf 1977. S. 5], Gelegenheit, an die Notwendigkeit heroischer Mythen und die Bereitschaft zum Handeln in Zeiten der Not zu erinnern.
Als im Jahre 480 v. Chr. die persischen Landtruppen, begleitet von der ihnen folgenden Flotte, den Hellespont auf zwei Schiffsbrücken überschritten, sahen sich zahlreiche griechische (Stadt-)Staaten dem furchteinflößenden Heer des Königs Xerxes hilflos ausgeliefert und gedachten an Anerkennung der persischen Herrschaft. In dieser Situation ergriffen Sparta und Athen – gewahr der welthistorischen Bedeutung, die eine Niederlage für den okzidentalen Kulturraum bedeutet hätte – die Initiative zum gemeinsamen Abwehrkampf gegen das nach vorsichtigen Schätzungen 100.000 Mann starke Heer Xerxes’. Sparta übernahm aus machtpolitischen Gründen, aber auch aus der
Verantwortung für die hellenische Welt bereitwillig die Führungsrolle in dieser „neu gegründeten griechischen Wehrgemeinschaft, die alle antipersischen Kräfte in Hellas zusammenfaßte“ [Weber a.a.O. S. 267]. Strategisch planten die Griechen die persische Flotte zu dezimieren, um die feindlichen Landtruppen moralisch zu destabilisieren, wobei es entscheidend war, den persischen Truppen solange den Zugang auf griechisches Territorium zu verwehren, bis die Flotte Xerxes’ besiegt war. Das taktisch günstigste Gelände für eine Defensivstellung fand das die Verteidigung tragende Aufgebot Spartas im Thermopylenpaß, dem engen Hohlweg zwischen der See und dem Oita-Gebirge, wo das 7000 Mann umfassende Heer des Königs Leonidas diesen einzigen Zugang nach Mittelgriechenland verteidigen sollte. Diese Stellung entfaltete ihren taktisch- strategischen Vorteil durch die Enge des Passes, wodurch das gewaltige Heer des persischen Herrschers nur mit wenigen Soldaten angreifen konnte. Gleichzeitig kreuzte die rund 200 Schiffe umfassende griechische Flotte nahe der Thermopylenstellung, um den Seeweg zu sperren und letztlich die Entscheidung mit der persischen Flotte zu erzwingen. Das parallele Vorrücken der See- und Landstreitkräfte Xerxes’ führte zum fast gleichzeitigen Aufeinandertreffen mit der griechischen Flotte und dem Heer Leonidas’.
Nahkampf zweier Hopliten (Krieger zu Fuß)
Typisch sind der Korinthische Helm und der Rundschild, Hoplon. Der Bildhauer hat einen Krieger mit geöffnetem Helm dargestellt, um eine bekannte Person als Krieger zu würdigen.
Xerxes’ Überzeugung, die Thermopylenstellung rasch einnehmen zu können, veranlaßte ihn zuerst die medischen Truppen in den Kampf gegen die Spartaner zu schicken, doch scheiterten diese ebenso, wie die am nächsten Tag in das Gefecht geworfene persische Eliteeinheit der „Unsterblichen“ am heldenhaften Widerstand der Heimatverteidiger unter Leonidas’ Führung. Die spartanische Taktik ermöglichte diese glanzvollen Siege, konnte aber nicht den Verrat des Griechen Ephialtes, der den Persern einen Umgehungspfad um den Thermopylenpaß nannte, auffangen: obschon Leonidas in Kenntnis der brisanten Lage tausend schwerbewaffnete Phoker zur Bewachung dieses Umgehungsweges zurückließ, vermochten diese das nun aufmarschierende persische Heer nicht aufzuhalten, so daß Xerxes in Mittelgriechenland stand und die infolgedessen bedeutungslose Stellung an den Thermopylen von hinten angegriffen werden konnte. Leonidas, von Boten über diese Entwicklung informiert, entließ die Bundesgenossen aus ihrer Pflicht und verblieb trotz der Möglichkeit eines sicheren Abzuges mit seiner dreihundert Mann starken Eliteeinheit sowie tausend Periöken und siebenhundert Thespiern in der schicksalhaften und todbringenden Stellung, denn für Krieger Spartas „zieme es sich nicht, den Platz zu verlassen, zu dem sie von vornherein gekommen seien, um ihn zu bewachen“ (Herodot). Dem spartanischen Kriegerethos und seinen Werten Tapferkeit, Treue und Disziplin verpflichtet, trotzten diese Recken Hellas’ den anstürmenden persischen Horden lange und standhaft.
Den Verlauf dieses Kampfes schildert Herodot in rhetorischem Pathos, welches an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll: „Die Barbaren um Xerxes rückten an, und die Griechen um Leonidas zogen, da sie im Begriff waren, in den sicheren Tod zu marschieren, jetzt noch mehr als zu Anfang zur breiteren Stelle des Engpasses. Wie sie nun außerhalb der Engen aufeinanderstießen, fielen eine Menge Barbaren, da von hinten aus die Anführer der Abteilungen alle Männer mit Geißeln immer wieder vorwärtstrieben. Viele von ihnen stürzten ins Meer und fanden den Tod, aber noch viel mehr Soldaten traten sich lebend gegenseitig nieder. Auf die Umgekommenen nahm man keine Rücksicht. Da die Griechen wußten, daß ihnen durch die, die das Gebirge umgangen hatten, der Tod bevorstand, zeigten sie ein Höchstmaß von Kraft gegenüber den Barbaren, ohne Todesverachtung und Besinnen. Den meisten von ihnen waren die Speere schon an diesem Tag zerbrochen, aber sie bedrängten die Perser mit ihren Schwertern. In diesem Kampf fielen sowohl Leonidas, ein hervorragender Held, als auch viele andere namhafte Spartiaten mit ihm. Der Kampf währte so lange, bis die Leute unter Führung des Ephialtes eintrafen. Als die Griechen von ihrem Kommen gehört hatten, nahm die Schlacht fortan einen ganz anderen Verlauf. Zum einen zogen sie sich nämlich zur Enge des Weges zurück, und dann kamen sie, nachdem sie an der Mauer vorbeimarschiert waren, und setzten sich alle auf einem Hügel fest. Hier wehrten sie sich mit Schwertern, sofern sie noch eines besaßen, und mit Händen und Zähnen, aber die Barbaren überschütteten sie mit ihren Geschossen, die einen, die von vorn gegen sie angerückt waren und die Schutzwehr der Mauer niedergerissen hatten, und die anderen, die von allen Seiten kamen und sie rings umzingelten“ [Josef Feix (Hg.): Herodot. Historien 7, 219-228. München 1964. S. 1034-1041].
Hopliten werden von einem Flötenspieler in den Kampf geführt.
Sie haben die Kampfformation, Phalanx, eingenommen und sind mit Speer und Kurzschwert bewaffnet. Geschützt sind sie durch die schwere Bronzerüstung, die durch Beinschienen und den Rundschild ergänzt werden. Die Rundschilde waren oftmals mit Buchstaben bemalt, die die Herkunft der Krieger deutlich machten, so stand L (Lambda für griech. Lakedaimon = Sparta) z.B. für Sparta, Sigma (S) für die Sikyoner. Oftmals fanden auf den Schilden auch Darstellungen aus der Tier- und Sagenwelt Platz, hier Stierkopf, Adler und das Haupt einer Gorgo. Die akustischen Signale des Flötenspielers waren zum geordneten Aufmarsch der Phalanx notwendig, da man in dem schweren Helm kaum etwas hörte oder sehen konnte.
Herodots mythenstiftende Darstellung orientiert sich nahe an den realgeschichtlichen Ereignissen, in deren Folge die wenigen verbliebenen Verteidiger der Thermopylen vollends vernichtet wurden. Dennoch bewirkte der tapfere Widerstand der Spartaner, daß die übrigen griechischen Truppen ihre Kräfte sammeln und nach der Brandschatzung weiter Teile der hellenischen Welt durch die Perser zum Rückschlag ausholen konnten: die berühmte Seeschlacht von Salamis bildete das Resultat der gemeinsamen Kraftanstrengung der damaligen Speerspitze der abendländischen Welt – des Griechentums!
Der militärischen Selbstaufopferung für das Vaterland und den eigenen Kulturraum gedachten die Zeitgenossen mit der Leonidas posthum zuteil gewordenen Ehre der Benennung des verteidigten Hügels nach ihm sowie dem anfangs zitierten Gedenkstein mit der Inschrift des Dichters Simonides: Leonidas ward Sparta und Sparta ward Leonidas! Die Treue und das Ehrbewußtsein des spartanischen Königs verdeutlicht sich in folgender Überlieferung: der Perserkönig bat Leonidas vor der Schlacht ein Bündnis an, in dessen Resultat Sparta die Herrschaft über die hellenische Welt hätte ausüben sollen, doch Leonidas beantwortete dieses Ansinnen in der Verantwortung für das griechische Volk: „Wenn du, Xerxes, etwas von den edlen Dingen des Lebens wüßtest, würdest du davon ablassen, fremdes Eigentum zu begehren. Was mich betrifft, so ist der Tod für Griechenland besser als die Herrschaft auch nur über meine eigenen Landsleute“ [zit. nach Weber a.a.O. S. 273]. Obschon der strategisch- taktische Nutzen des heldenhaften Opfertodes der Krieger Leonidas’ aus militärgeschichtlicher Perspektive ambivalent zu beurteilen ist, bildete diese sagenhafte Ruhmestat im Geiste des höchsten spartanischen Ideals den Kern der Historienbildung um den legendären Stadtstaat, dessen Mythos bis heute die Menschen fasziniert und in Tagen kulturellen Verfalls Anknüpfungspunkte verdient hätte. Der verdienstvolle Film Millers, der auf dessen gleichnamiger Bildgeschichte „300“ beruht, erzeugt beim Betrachter ein Gefühl für die Notwendigkeit nach Rückbesinnung auf traditionelle Werte sowie nach dem Willen zur Tat in Zeiten der Not und stellt im Gegensatz zu den uns in den Lichtspielhäusern sonst begegnenden kulturlosen Werken im Geiste der multikulturellen „Eine-Welt-Ideologie“ eine erfrischen Abwechslung dar.
Juli 2007
Hagen Ostrau
Schnell hat dem auf dem gleichnamigen von Frank Miller gestalteten “Comic-Roman” basierenden Film „300“ (USA 2007, Regie: Zack Snyder) „Fascho-Ästhetik“ (Spiegel-online) vorgeworfen. In der Tat: „300“ ist für die Spaßgesellschaft unübliche Kost. In den USA ungeheuer erfolgreich (Der Film spielte bei 60 Millionen Produktionskosten 180 Millionen US-Dollar ein), verschreckte er in Deutschland die pazifistischen Tugendwächter, deren Idealbild nicht der Krieger, sondern der brave und domestizierte Konsument ist, der sich jedem Schicksal ergibt. Ob „Tagesspiegel“ (Berlin) oder die pseudo-konservative „FAZ“, alle waren sich, entweder ganz explizit oder über Bande gespielt, einig: „300“ ist in erster Linie deshalb abzulehnen, da der Film selbstbewußte und entschlossene Kriegerheroen darstellt, die sich als Teil eines Volkes fühlen und deren Ehrgefühl als Krieger sich über das nackte „Überlebenwollen“ erhebt.
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„Spiegel-online“ (24.06.2007) beklage das Fehlen einer „Meta-Ebene“, weder politisch noch humoristisch hätte „300“ etwas zu bieten. Diese Kritik ist sehr erhellend, denn jeder kritische Beobachter unserer Printmedien weiß, was hier eingefordert wird: mit „politischer Metaebene“ ist eine verquaste und politisch korrekte Kritik an den „gesellschaftlichen Verhältnissen“ gemeint, oder das im Jammerton vorgetragene Lamento über die „Sinnlosigkeit des Krieges“, das diesem Ereignis seine spirituelle und schöpferische Dimension abspricht. Der hier eingeforderte Humor ist nicht mit dem knappen lakonischen (spartanischen) Kriegerhumor (Phillip II., König Makedoniens in einer Botschaft an Sparta: Wenn ich euch besiegt habe, werden eure Häuser brennen, eure Städte in Flammen stehen und eure Frauen zu Witwen, lakonische Antwort der Spartaner: Wenn) zu verwechseln, sondern es handelt sich um den „Comedy“-Humor einer dekadenten und verwahrlosten Amüsiergesellschaft, die sich in den in den Abgrund scherzt und der jeder Sinn für weihevollen und heiligen Ernst abhanden gekommen. Sie muß ständig und hysterisch überspielen, was in der Antike als große Wahrheit des Lebens anerkannt war: Die Tragik der kriegerischen Auseinandersetzung ist Teil des Lebens, der Mensch muß sich dieser stellen, sie annehmen und sich in ihr bewähren, auch und gerade indem er seine Ehre über den nackten Lebenswillen stellt.
Natürlich ist ein Film wie „300“ in erster Linie gute und fesselnde Unterhaltung. Er ist jedoch darüber hinaus dazu angetan, Jugendliche für dieses herausragende geschichtliche Ereignis und den damit verbundenen Mythos zu interessieren, oder gar zu begeistern. Dies allein wiegt schwer. Wer nach dem Filmgenuß mehr erfahren will, darf sich über eine hochwertige Neuerscheinung freuen, die die Karriere des Mythos „300“ thematisiert hat: Anuschka Albertz: Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart. München 2006. Albertz’ Studie untersuchte Karlheinz Weißmann in der Sezession (16/2007) und fand lobende Worte für die mit 426 Seiten sehr umfangreiche Arbeit. Albertz sei einem der “wirkungsmächtigsten Mythen” durch eine sehr gelungene und gründliche Auseinandersetzung auf die Spur gekommen, wobei literarische und künstlerische Verarbeitung von der Autorin gleichermaßen untersucht und ebenso die Nutzbarmachung des Mythos von der Französischen Revolution bis zur Niederlage von Stalingrad dargestellt und analysiert worden seien.
August 2007
Filmische Umsetzung: Spartaner drängen den Feind zurück
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